Carte Blanche: Minions, Gorillas und ein Darkroom

Am Donnerstagabend saßen die 16 deutschen und georgischen Autor*innen noch vor einem leeren Blatt Papier – eine Carte Blanche sollte für den Folgeabend mit Programm gefüllt werden. Gestern Abend war es dann soweit, drei Räume (inklusive Darkroom) wurden mit experimentellen Lesungsformaten bespielt.

RAUM 1

Vier Autor*innen, zwei Fotos und vier Texte ergeben eine kreative Liveperformance. Alles fängt mit einem Bild an. Die beiden deutschen Autor*innen Helene Bukowski und Lorena Simmel haben ihren georgischen Kolleg*innen Anina Tepnadze und Giorgi Shonia ein Foto aus Berlin mitgebracht. Es zeigt ein kleines Kind in Anorak und Jeans vor einer Gorilla-Statue – wahrscheinlich Mitte der 90er im Berliner Zoo aufgenommen. Eine Geschichte zum Bild muss nun her. Die vier Autor*innen haben nun eine halbe Stunde Zeit, um Assoziationen zu diesem Foto zu entwickeln und einen literarischen Text zu entwerfen. Das alles passiert in der jeweiligen Muttersprache und live, dank des Beamers direkt vor den Augen des Publikums.

Lorena Simmel, Anina Tepnadze, Helene Bukowski und Giorgi Shonia mitten im Schreibprozess.

Anschließend werden die Texte per Google Translate ins Englische übersetzt und so für alle zugänglich gemacht. In der zweiten Runde wird der Spieß dann umgedreht und ein Foto aus Georgien dient als Inspirationsquelle. Die Ergebnisse können sich sehen lassen. Besonders spannend war es, den Schreibprozess zu beobachten. Einfach anzufangen ist hier wohl wie so oft im Alltag die richtige Strategie – gelöscht wurde aber auch ab und zu.

Texte zum georgischen Foto

Weiter hinten im Raum startet zeitgleich ein nicht weniger kreatives Format, das ebenfalls viel Spontanität fordert. Zunächst ziehen die georgischen Autor*innen Ketevan Meparidze, Nini Eliashvili, Nikolos Lashkihia und Tornike Chelidze drei Gegenstände aus einem Beutel. Danach folgt der schwierige Teil: Jede*r wird nun zu diesen Gegenständen ein Gedicht schreiben, das nicht länger als hundert Wörter ist. Die Autor*innen haben dafür zehn Minuten Zeit. Die Gegenstände sind allerdings alles andere als literarisch, die glücklichen Lyriker*innen haben einen Minion mit Bananengewehr, eine Darth Vader-Spielkarte und einen kleinen Spielzeug-Roboter gezogen.

Nikolos Lashkihia, Nini Eliashvili, Tornike Chelidze und Ketevan Meparidze schreiben ihre Gedichte …
… und tragen sie vor.

Die fertigen Texte werden anschließend ebenfalls durch Google Translate geschickt und auf Deutsch sowie Englisch vorgetragen. Die ein oder anderen zusätzlichen Erklärungen seitens der Autor*innen sind hier mehr als nötig und wir lernen: Never trust Google Translate! (O-Ton Ketevan Meparidze: »Google translate sucks!«) Das beste Gedicht – oder das, was davon übrig bleibt – soll abschließend mit stürmischem Beifall gekürt werden. Am Ende wird jedoch einstimmig entschieden: Poetry is the winner.

RAUM 2

Wer kann sich noch an die Fantasietexte erinnern, die man als Kind zu bekannten Lieder sang, bevor man des Englischen mächtig war? Und wie oft glaubt man im Urlaub, etwas verstanden zu haben, weil das Hirn fremde Silben und Wörter in die Nähe der bekannten Sprachen rückt? Zura Abashidze, David Frühauf und Julia Dorsch wagen das Experiment: Ist Lyrik durch Rhythmus, Betonung und Klang emotional vielleicht verständlich, wo das intellektuelle Verständnis versagt, da die Sprache nicht bekannt ist? Zura liest den deutschen Muttersprachlern auf Georgisch, später wird der Spieß dann umgedreht, ein von ihm verfasstes Gedicht vor, das allein über den Sound ins Deutsche „übersetzt“ wird. Die Ergebnisse entsprechen, es wird wenig überraschen, nicht unbedingt dem Original, trotzdem macht das Experiment deutlich: Allein durch Takt und Klang kann die Botschaft bis zu einem gewissen Punkt vermittelt werden. Und bei kreativen Köpfen entstehen dadurch wunderbar neue Gedichtsansätze.

An einem anderen Tisch sitzt Lyriker Titus Meyer, der sich in seinen Gedichten zu 98 Prozent, wie er selbst sagt, mit Palindromen, also Wörtern, die von hinten wie von vorne lesbar sind („Anna“) und Anagrammen beschäftigt. Wie leicht oder schwierig dies sein kann, demonstriert er anhand des Buchstabensalats, der vor ihm liegt, und mit dem er ad hoc Wörter und Sätze bildet.

DARKROOM

ASMR ist derzeit der absolute Trend. Wer das noch nicht kennt: Unbedingt mal googlen – die einen finden es gruselig, die anderen beruhigend. Dass ASMR auch interaktiv, live und mit Sprache funktioniert, beweisen Rudi Nuss, Tako Poladashvili und Saskia Warzecha. In einem dunklen Raum (dem Darkroom!), der nur durch ein sphärisches Video beleuchtet ist, lesen sie auf drei Sprachen Texte vor, mal laut, mal flüsternd, raunend, mal durch Pausen unterbrochen. Das animiert mehrere der anderen Teilnehmer*innen und Zuschauer*innen, ebenfalls bei der Performance mitzumachen.  Und so entsteht ein Klangraum aus geflüsterten Wörtern, Silben und Zischlauten in mehreren Sprachen – gruselig und beruhigend zugleich, ASMR halt.

Texte und Fotos: Juliane Noßack, Isabella Caldart

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