Tag 2: Kiez-Walk durch Friedrichshain

Julia Dorsch erklärt, Titus Meyer, Zura Abashidze und Nika Lashkhia lauschen

Get to know the city! In vier Gruppen führen Einheimische die georgischen Gäste durch Berlin, genauer gesagt durch Kreuzberg, Prenzlauer Berg, den Wedding und Friedrichshain.

Den Kiez-Walk quer durch Friedrichshain leitet Lyrikerin Julia Dorsch, die seit drei Jahren im Viertel wohnt. Begleitet wird sie von Titus Meyer, ebenfalls Lyriker, den beiden georgischen Autoren Zura Abashidze und Nika Lashkhia und Isabella Caldart, der Verfasserin dieses Texts.

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Interview David Wagner

Interview mit David Wagner

Vom 16.-23. April 2018 besuchten die drei Berliner Autor*innen Paula Fürstenberg, Hendrik Jackson und David Wagner im Auftrag der Lettrétage die georgische Hauptstadt Tbilisi. Gemeinsam mit den drei georgischen Autor*innen Eka Kevanishvili, Tamta Melashvili und Zviad Ratiani erkundeten sie die Stadt, befragten sich gegenseitig über Arbeits- und Schreibbedingungen in ihren jeweiligen Ländern, über den jeweils sehr unterschiedlichen Literaturbetrieb, aber auch über ganz alltägliche Dinge. Diese dialogischen Annäherungen waren angedacht als Ausgangspunkt für die Konzipierung eines deutsch-georgischen Begegnungsfestivals für junge Autor*innen, das jetzt vom 29.8. – 2.9.2018 in Berlin stattfindet.

Für alle drei Autor*innen war es die erste Begegung mit Georgien. In den von den Filmemacher*innen Sabine Carbon und Felix Oehler geführten Interviews berichten Paula, Hendrik und David von ihren Eindrücken.

Teil 1: DAVID WAGNER 

      

Absurde Treppenkonstruktionen, die nirgendwohin führen

Für David Wagner als leidenschaftlicher Stadtspaziergänger ist Tbilisi ein idealer Ort. Liebe auf den ersten Blick. „Eine irre Stadt“, stellt er fest, um dann über die „verfallene Pracht“ und den „Ruinencharme“ von Tbilisis Altstadt zu schwärmen, in der viele Bewohner und Besatzer ihre Spuren hinterlassen haben. Mit ambivalenten Gefühlen bewundert er auf seinen Streifzügen „ Setzungsrisse so breit, dass sich eine Hand hindurchstecken läßt“ und „absurde Treppenkonstruktionen, die nirgendwohin führen“. Man fühle sich hier, obwohl es architektonisch so verschieden ist, stark an das Berliner der 90er-Jahre erinnert. Hier und da sehe man schon ein „lieblich“ renoviertes Haus, vereinzelte Häuserzeilen seien pastellfarben herausgeputzt, in Eisfarben. Eine Entwicklung, die in Berlin schon fast abgeschlossen sei. David interessiert die Frage, ob er und seine Georgischen Gastgeber*innen sich vorstellen können, wie Tbilisi in 10 oder 15 Jahren aussehen wird – ob sie die Stadt dann noch wiedererkennen würden? Er selbst habe die leise Befürchtung, dass die Stadt einen Teil ihres Charmes verlieren wird, weiß aber auch, dass sein romantisierender Blick den realen Wohn- und Lebensbedingungen nur bedingt gerecht wird. Er verstehe durchaus, „warum man hier nicht in halb zusammengefallenen, holzwurmzerfressenen Häusern wohnen möchte“, andererseits biete die bröckelnde Altstadt eine identitätstiftende Heimat.

 

Eingenistet in der Idylle

Ambivalent auch Davids Haltung zum Treffpunkt der Projektgruppe, an dem die Autor*innen sich täglich begegnen und austauschen: Es ist das 2008 renovierte Writer’s House, eine prachtvolle Villa im Art Nouveau-Stil, die Anfang des 20. Jahrhunderts für einen georgischen Brandy-Produzenten erbaut wurde. „Hier sind wir im Prospekthaus“, sagt David, „haben uns in der Idylle eingenistet. Eigentlich müssten wir unsere Treffen draußen in den Plattenbauten abhalten, in der wahren Trostlosigkeit der Gegenwart, der wir Schriftsteller uns aussetzen müssen.“ Die eigentliche Stadt, das Tbilisi von heute sei dort draußen, wo die Wohnblöcke und Hochhäuser stehen.

Schreiben ist immer schwierig

Auf die Frage nach den Arbeits- und Schreibbedingungen in Tbilisi und Berlin antwortet David zunächst sehr allgemein: Schreiben falle ihm grundsätzlich schwer. Er zitiert das Bonmot, man sei Schriftsteller, weil einem das Schreiben besonders schwer falle. Natürlich biete der deutschsprachige Literaturbetrieb sehr viele Fördermöglichkeiten in Form von Stipendien, Einladungen, Lesungen und Veranstaltungen. Fördermöglichkeiten, die einem die Chance ermöglichen, zumindest  teilweise vom Schreiben zu leben. „Diesen Luxus gibt es in Georgien anscheinend nicht“, stellt David fest, „in einem kleinen Land, mit wenig Publikum, nur wenigen Verlagen und keinem vergleichbaren Literaturbetrieb.“ Es sei aber trotz der unterschiedlichen materiellen Bedingungen, interessant zu sehen, wie Autor*innenbiografien sich ähneln. Er erzählt von seinen Gesprächen mit Tamta Melashvili, mit der David sich intensiv ausgetauscht hat.

Die große Leere nach dem Erfolg

Tamta hatte das Glück, dass ihr Debütroman „Abzählen“ (Unionsverlag, 2012) insbesondere in Deutschland großen Erfolg hatte und mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis auszeichnet wurde. Sie wurde im deutschsprachigen Literaturbetrieb herumgereicht, erhielt Einladungen und hat die Aufmerksamkeiten genossen, musste aber auch die Kehrseite erfahren: Nach dem Erfolg mit dem ersten Buch, blieb er beim zweiten aus. „So ein Auf- und Ab kenne ich auch“, sagt David, „es ist nicht immer leicht, den Erwartungen – auch den eigenen – gerecht zu werden. Nicht jedes neue Buch könne seinen Vorgänger übertreffen.“ Letztendlich, sagt David, sei jeder Autor mit seinem Text allein, ob dieser nun auf Deutsch oder auf Georgisch geschrieben werde.

Inkubationszeit

David ist gespannt, was die Eindrücke, die er aus Tbilisi mitnimmt, mit ihm machen werden. Ob sie sich in seinem Schreiben niederschlagen werden? Das wisse er noch nicht, könne es auch nicht abschätzen. Manchmal dauere es sehr lange. Er schreibe Tagebuch, verrät er, und erinnert daran, dass aus dem Journal, das er während eines zweimonatigen Aufenthaltes in Bukarest im Jahr 2002 geführt habe, erst in diesem Jahr – 16 Jahre später (!) – ein Buch über seine dortigen Stadterkundungen entstanden sei. So müsse man Schreiben denken, in Jahrzehnten, fügt er ironisch hinzu. Jedenfalls sei es auf- und anregend, etwas zu sehen, das sich von der gewohnten Umgebung unterscheide.

Auf die letzte Frage, mit welchem Bild er seinen Aufenthalt in Tbilisi zusammenfassen würde, antwortet David zögerlich. Er denkt an einen Spaziergang, bei dem er plötzlich in den Ruinen eines nicht fertiggestellten Neubaus stand, „in einer Ruine der Moderne“, sagt er. Und wie seltsam es ihm vorgekommen sei, „im Schutt und auf Betontrümmerteilen zu stehen“ und gleichzeitig auf den Regierungspalast und die Villa eines Oligarchen zu schauen, der sich mitten im Naturschutzgebiet über der Stadt einen Palast mit eigenem Hubschrauberlandeplatz errichtet hat.

Blaue Hörner

Toller Artikel von Lasha Bakradze in der FAZ über die Blauen Hörner, einer georgischen Künstler*innengruppe, die zum Opfer der stalinistischen Säuberungen wurden.

Artikel.

 

Das Vorbereitungsteam

Die nächsten sechs Tage verbringen wir während der Arbeitssessions gemeinsam mit unseren georgischen Gastgeber*innen im Writer´s House.

Das Writer´s House… lässt sich aushalten.