Der Wedding: noch ein uriges Stück Berlin, das ‚im Kommen‘ ist und neue Wahlheimat der jungen Autorin Lorena Simmel. Diese führte uns am Dienstag durch ihr Viertel um den Humboldthain.
Einziger Regentag in dieser letzten Augustwoche – und wir lassen uns in Kiez-Walks von Berliner Autor*innen durch ihre Viertel führen. Unsere Tour mit Lorena Simmel beginnt am Bahnhof Gesundbrunnen. Doch wir wollen nicht im großen Shopping-Center unser Vergnügen suchen, sondern wir wollen das, was es schräg gegenüber vom Center gibt: die Natur.
Die gibt es nämlich im Humboldthain-Park, den Lorena gerne besucht. Sie wird uns zu den Flaktürmen führen, die auf zwei Hügeln des Hains stehen. Die Türme wurden im zweiten Weltkrieg als Teil eines Luftabwehrsystems erbaut, zu dem auch Türme im Volkspark Friedrichshain und im Tiergarten gehörten.
Wir beginnen den Aufstieg zu den Türmen mit einem Spaziergang durch einen Rosengarten mit gestutzten Hecken und saftig grünem Rasen – derzeit eine Rarität nach gefühlt vier Monaten ohne Regen im Berliner Raum.
Die georgische Autorin Tako Poladashvili schwärmt während unseres Spaziergangs für das viele Grün und erklärt, dass es das in der georgischen Hauptstadt nicht gäbe: „In Tbilisi sammeln sich alle zusammen; die Stadt ist der georgische Hotspot und super voll. Es werden immer mehr Gebäude für die vielen Menschen gebaut. Für Parks bleibt da kein Platz. Deshalb sind wir aus Georgien immer so verrückt nach grünen Flecken.“
Lorena erzählt uns, dass sie im Humboldthain auch gerne joggen geht – besonders diesen Weg hinauf zu den Türmen. Das teilt sie wohl mit so einigen Menschen aus dem Wedding, denn oben angekommen, begegnen uns auch einige Jogger*innen
Auf das viele Grün folgt eine Legierung aus Schwarz und Weiß: Auf steingrauem Beton, umringt von einem silbergrauen Sicherheitszaun und blassgrauem Himmel blicken wir auf Berlin, das sich uns in ähnlichen Farbnuancen präsentiert. Doch die weite, freie Sicht von oben finden wir trotzdem alle spannend.
Vom Grünen und Weiten zurück zum Großstädtischen: Vom Humboldthain aus gehen wir, vorbei an den vielen Zugschienen, die sich hier kreuzen, zur Badstraße – denn diese führt uns zu…
… dem Haus, in dem Lorena wohnt. „Ich mag das Haus und die Wohnung sehr. Die Wohnung liegt im vierten Stock und hat, dadurch dass das Haus frei steht, zu drei Seiten Fenster. Ein frei stehendes Haus kommt in Berlin nicht oft vor. Deshalb erinnert es mich auch an Städte aus früheren Zeiten, in denen noch nicht alles so gedrängt war.“ Ganz in der Nähe ist ihr Lieblingsspäti. „Wenn wir kein Geld haben, verabreden wir uns hier. Es ist nicht der hübscheste Ort, aber man kann hier billig ein Bier trinken und auch gut draußen sitzen, weil sie eine richtige Terrasse mit Tischen haben. An der Kreuzung ist auch super viel los, weshalb man viel zu beobachten hat.“ Es folgt eine der wichtigsten Einführungen in die Berliner Kultur: Lorena erklärt Tako, Tornike Chelidze und Zviad Ratiani das Konzept des ‚beim Späti Chillens‘.
Wir folgen Lorena zur nahe gelegenen Stadtbibliothek am Luisenbad. Diese ist wohl ziemlich einmalig, denn anders als ihr Name es vermuten lässt befindet sie sich nicht an einem Bad, sondern tatsächlich in einem. Wir blicken durch die großen Glasfenster des ehemaligen Stadtbades auf unzählige Bücher und viele lesende und schreibende Menschen, die sich in dem umfunktionierten Schwimmbecken befinden. „Eine Bibliothek und ein Bad… das ist doch fast das gleiche“, sinniert Zviad, „in beidem kann man schwimmen, eintauchen und versinken“.
Im Anschluss führt uns Lorena zu den Uferstudios: „Das ist ein ehemaliger Abstellort für Berliner Busse, der mittlerweile ein toller und wichtiger Ort der Kulturszene ist.“
Ein wichtiger Ort der freien Szene Berlins.
In den ehemaligen Bushallen befinden sich vor allem Performance- und Tanzräume, ein Ort für Aufführungen, Workshops, Tanz- und Yoga-Kurse sowie für zwei Performance-Studiengänge. Tako erzählt von der Fabrica in Tbilisi, einem verlassenem Fabrikgelände in dem sich Galerien, Cafes und Kulturräume angesiedelt haben. „Es ist spannend, dass wir, Georgier*innen und Deutsche, scheinbar die gleichen Raumbedürfnisse haben“, findet sie.
Neben dem Areal liegt das Café Pförtner, das passenderweise einen Bus zur als Gaststätte ausgebaut hat. Weil walken, walken, walken ziemlich anstrengend ist, stärken wir uns mit Gulasch und Spinatknödeln – wobei sich sich bei der Speiseauswahl als schwierig herausstellt, den georgischen Gästen den Knödel als solchen verständlich zu machen: „It’s a… mix of egg and potatoes or bread… and in the end it’s a soft and sticky ball.“ (Es war in jedem Fall viel leckerer als unsere dürftigen Beschreibungsversuche.) In unserer kleinen Pausen erzählen Tako und Tornike uns im Gegenzug von der georgischen Küche, die sehr reich an Gemüse sei, besonders Walnüsse liebe und trotz der kleinen Fläche des Landes auch von Region zu Region sehr variieren könne.
Die Uferstraße…
… und das Ufer der Panke entlang, …
… führt Lorena uns schließlich noch zu einem Gebäude mit einem sehr deutschen Konzept: In dem Haus, auf das Lorena hier gerade zeigt, sind Künstler*innen im Rahmen von Stipendien untergebracht. Damit knüpft sie an zentrale Diskussionsthemen des vergangenen Tages an, denn im Workshop „Doing Literature“, geleitet vom Sprecher der Koalition der Freien Szene Berlins, Christophe Knoch, hatten wir uns über die Strukturen der Berliner und der Tbilisier Literaturszene unterhalten. Als großer Unterschied trat dabei zu Tage, dass Georgien keine Stipendien oder Fördermittel für Autor*innen bietet, die tatsächlich eine Existenz sichern, geschweige denn eine Unterkunft bereitstellen würden. Und mit diesem Zirkelschluss begeben sich alle wieder auf den Rückweg zu den Festivalräumen in der Lettrétage.
„In meiner Literatur interessieren mich Stadtgeschichten immer sehr. Den Wedding, wie ihn Lorena und Saskia (Warzecha) uns heute gezeigt haben, werde ich bestimmt in Texte aufnehmen“ erzählt Tako rückblickend. Tornike mag den Mix der Stadt: „Im ehemaligen Sowjetteil der Stadt ähnelt Berlin Tbilisi sehr. Hier im Wedding sieht man den britischen Einfluss. Dass in der Stadt so vieles zusammenkommt, ist echt spannend!“
Text und Bild: Angie Martiens
One Reply to “Tag 2 bei Berlinisi: Walk, walk, walk – through Wedding!”
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