Interview: Wie lebt es sich als Literat in Georgien?

Zura Abashidze und Nika Lashkhia

Zura Abashidze (*1995) und Nika Lashkhia (*1989) gehören zu den wichtigsten Stimmen der jungen georgischen Literatur. Während von dem einen am 4. Oktober der Kurzgeschichtenband „Wie tötet man Billy Elliot?“  im Größenwahn Verlag erscheint, ist der andere vor allem als Literaturvermittler aktiv. Die perfekten Gegenüber also, um nachzuhaken: Wie lebt es sich als Literat in Georgien?

Zura, Nika: Wie ist es um die Schriftsteller in Georgien bestellt? Kann man vom Schreiben leben?

Zura: Von vielleicht drei Ausnahmen wie Zaza Burchuladze abgesehen, verdient man mit Literatur absolut kein Geld, schreiben ist quasi ein Hobby. Ich arbeite unter anderem als Drehbuchautor, vor zwei Jahren habe ich eine Zeitlang auch journalistische Texte geschrieben, zum Beispiel über ein Gefängnis.
Nika: Ich bin ebenfalls Journalist und der Herausgeber eines Literaturmagazins. Außerdem arbeite ich als Moderator einer literarischen Talkshow.

Literarische Talkshow? Das gibt es?

Nika: Ja, wir laden Autoren, Übersetzer oder Lyriker ein.
Zura: Ich mache etwas Ähnliches: Ich arbeite für eine literarische Quizshow mit Teenagern, bei der wir den Jugendlichen mehrere Fragen stellen. Der Gewinner bekommt ein Stipendium für einen Sommerkurs in Cambridge.

Wie sieht es bei der literarischen Produktion inhaltlich aus? Könnt ihr über alles schreiben?

Zura: Ja, es gibt keine Zensur oder so. Ich wohn in Tiflis und habe keine Probleme.
Nika: Bei mir ist das nicht ganz so leicht. Ich lebe in Sugdidi, einer ziemlich kleinen Stadt [43.000 Einwohner, 300 Kilometer westlich von Tiflis unweit des Schwarzen Meers gelegen], in der es weniger Freiheiten gibt. Seit 2017 gebe ich vierteljährlich das Literaturmagazin „Ebguri“ heraus, in dem es auch Übersetzungen (teilweise zweisprachig) gibt, wie ein Gedicht von Paul Celan im ersten Heft. Ich habe zunächst finanzielle Unterstützung vom Staat erhalten; als ich allerdings ein soziales Gedicht veröffentlichte, in dem die Regierung kritisiert wurde, wurden die Subventionen direkt eingestellt. Ich musste mich nach einem anderen Geldgeber umsehen, den ich zum Glück auch gefunden habe.
Zura: In Tiflis hingegen interessiert sich keiner für dich.

Wie ist es denn um die literarische Szene in Georgien bestellt? Kennt man sich untereinander?

Zura: Absolut. Die Gemeinschaft ist klein, man kennt und unterstützt sich. Vergangenes Jahr beispielsweise hatte ein Autor einen Unfall; in einer geschlossenen Facebook-Gruppe haben andere Schriftsteller, Lyriker und Leute aus dem Literaturbetrieb Geld für ihn gesammelt. Generell benutzen wir viel Social Media, um miteinander zu kommunizieren. Von den Autorinnen und Autoren, die nach Berlin eingeladen wurde, ist in der Tat Nika der einzige, den ich noch nicht persönlich kannte.
Nika: Ich habe mit anderen Leuten zusammen ein zweitägiges Literaturfestival ins Leben gerufen, das 2018 das erste Mal gefeiert wurde. Es ist geplant, das jährlich zu machen, zukünftig auch gerne internationaler.
Zura: Nika ist die literarische Szene!

Zura, dein Buch erscheint bald im Größenwahn Verlag. Worum geht es?

Zura: „Wie tötet man Billy Elliot?“ sind zwölf Kurzgeschichten für und über LGBTQ-Menschen. In Georgien war das Buch vor zwei Jahren ein Bestseller. Der Größenwahn Verlag ist ein Verlag, der viel queere Literatur veröffentlicht und anlässlich der Buchmesse nach genau diesem Thema gesucht hat.

Wie ist es, als schwuler Autor in Georgien zu leben?

Zura: Ich bin meines Wissens nach der einzige geoutete Autor im ganzen Land. Das reicht schon, um als „skandalös“ angesehen zu werden.

Kann man als queerer Mensch denn offen seine Sexualität und Identität zeigen?

Zura: Nein. Erst vor zwei, drei Monaten wurde ein schwuler Freund von mir geschlagen. Generell erzählen mir Leute der LGBTQ-Community schlimme Geschichten über solche Vorfälle, Reaktionen der Eltern und dergleichen. Georgien ist ein sehr religiöses Land. Ich kann nicht Händchenhaltend mit meinem Freund durch die Straßen laufen. Ich habe hier in Berlin zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zwei Männer sich küssen gesehen. Das könnte ich in Georgien niemals machen. Allerdings: In der Regierung gibt es auch Politiker, die etwas ändern wollen. Es ist eine langsame Veränderung, aber sie findet statt. Heute ist die Situation schon besser als vor fünf Jahren.

Denkt ihr denn jemals darüber nach, das Land zu verlassen, um woanders zu leben?

Nika: Ich bin das erste Mal in meinem Leben überhaupt außerhalb des Landes. Erst im vergangenen Jahr wurden die Visa-Bedingungen geändert; wir dürfen jetzt ohne Visum in die Europäische Union reisen.
Zura: Jeder junge Mensch denkt darüber nach, Georgien zu verlassen. Ich habe aber das Gefühl, dass mich das Land braucht, dass ich etwas Gutes bewirken kann und deswegen auf keinen Fall gehen sollte.

Die Fragen stellte Isabella Caldart.