Very German, very Georgian: Literaturszene und Schreibbedingungen

Im Workshop „Doing Literature“, geleitet von Christophe Knoche (Sprecher der Koalition der Freien Szene in Berlin), begaben sich die 16 jungen Autor*innen aus Berlin und Tbilisi in Reflexionen über ihre Schreibpraxis, über Bedingungen ihres literarischen Arbeitens und über die Literaturszene ihrer Städte.

Workshop "Doing Literature" Part I © Angie Martiens
Workshop „Doing Literature“ Part I © Angie Martiens
Very German: ‚Kulturförderprogramme‘ and ‚Arbeitsstipendien‘

Christophe Knoche beginnt den Workshop mit Reflexionen über die Orte des eigenen Schreibens. Das Nachdenken über die eigenen Texte kann überall und neben jeden Tätigkeiten stattfinden, diese Ansicht eint alle Anwesenden. Wo das eigentliche Schreiben jedoch vollzogen wird, wird entsprechend unterschiedlicher Bedürfnisse verschieden organisiert. Helene Bukowski und Lorena Simmel berichten von ihren Erfahrungen mit einem Aufenthaltsstipendium: Einen Ort zu haben, der nur der Aufgabe des Schreibens gewidmet ist und an dem man sich nicht mit Aufgaben des Alltags ablenken kann, erzeuge eine besondere Produktivität. In Georgien gibt es keine finanziellen oder räumlichen Stipendien, stattdessen aber einige Wettbewerbe mit Preisgeldern. Dennoch könne in Georgien niemand vom Schreiben leben, auch nicht etablierte Autor*innen, betonen die jungen Georgier*innen immer wieder. Sie alle haben einen Vollzeitjob und organisieren ihr Schreiben um diesen herum. Als eines der zentralen Probleme georgischer Schriftsteller*innen kristallisiert sich daher die Frage heraus, wie man Beruf, Familie, Alltag und das Schreiben unter einen Hut bekommt. Doch, so der Einwand vieler, Freizeit als solche bedeutet nicht zwangsläufig eine intensive Schreibpraxis, denn die hänge auch sehr von der individuellen Arbeitsweise ab: Wer keine lange Phase des Einstimmens braucht sondern gleich losschreiben kann, könn auch die Situation kurzer und limitierter Zeitfenstern, die zum Schreiben zur Verfügung stehen, ganz gut managen. Zudem kritisieren jene, die Erfahrungen mit Stipendien haben, dass im Gegenzug für die Unterstützung oft solch ein Umfang an Workshops, Lesungen und Textbeiträgen gefordert würde, dass das Schreiben an den eigenen Texten mitunter kaum noch möglich sei. Außerdem wird der Wunsch geäußert, dass man während Aufenthaltsstipendien auch die Partner*innen bzw. Familie mitbringen dürfen sollte: Denn was nützt der schönste Arbeitsort, und was nützt es, wenn man diesen sogar für ein halbes oder ein Jahr gestellt bekommt, wenn dann aber wichtige Beziehungen darunter leiden.

Vernetzung und literarische Szene in Berlin
© Mirko Lux
© Mirko Lux

Christophe Knoche leitet die Gruppendiskussion auch über zur Frage nach den literarischen Szenen Berlins und Tbilisis. Die freie literarische Szene Berlins ist groß und vielfältig – jedoch nur aufgrund des Engagements vieler Einzelner, betont Christophe Knoche in beiden Teilen des Workshops immer wieder. Das Gros der acht deutschen Autor*innen hat das Gefühl, gut in die Szene integriert zu sein – ohne einen Zwang zu verspüren, bei jeder Veranstaltung dabei sein zu müssen; Kontakt zu anderen Literat*innen finden die meisten bei Lesungen und Literaturmagazinen. Insbesondere wer in dieser Runde Kreatives Schreiben studierte, scheint durch das Studium automatisch Teil literarischer Kreise zu sein.

Wie Projekte einer freien Szene in Berlin ihren Lauf nehmen: Beispiel Lettrétage

Tom Bresemann, Mitbegründer des Literaturhauses Lettrétage, wurde kurzerhand herangezogen, um vom Entstehung der Lettrétage zu erzählen: Er betont, dass am Anfang einer solchen Gründung noch gar kein festes Konzept stehen müsse; die Lettrétage sei vielmehr entstanden, weil einige Bekannte zufällig zum gleichen Zeitpunkt Lust auf ein kleines, noch unausgegorenes Projekt hatten und man für wenig Geld einen Raum mieten konnte. In den ersten Jahren war das Projekt nicht auf Einnahmen angelegt; die kleinen Lesungen finanzierten die niedrige Raummiete; die Möglichkeit öffentlicher Fördergelder zog man erst Jahre später in Betracht. Der Workshop verdeutlicht: Um einen eigenen Beitrag zu einer freien Szene zu leisten, braucht es anfangs nicht mehr als eine Hand voll Leute, Engagement und eine Möglichkeit des Vernetzens – und sei es einfach nur über Facebook.

Georgiens Szene: Schreibst du noch oder facebookst du schon?
© Mirko Lux
© Mirko Lux

Facebook wiederum ist das zentrale Stichwort in puncto georgische Literaturszene. Denn diese spielt sich fast ausschließlich über Facebook ab: Literat*innen, ob groß, ob klein, publizieren ihre Texte oft über diesen Kanal, werden hierüber mitunter auch von Verlagshäusern entdeckt und haben hier auch ihre lesende Fanbase versammelt. Ein literarischer Post und 300 Likes dafür bekommen? Das ist normal, erzählen die jungen georgischen Autor*innen und alle Nicht-Georgier*innen im Raum sind perplex. Facebook ist zudem, das kennt man auch aus dem deutschen Kontext, ein wichtiges Medium um sich zu solidarisieren und zu mobilisieren. Das ist auch im literarischen Kontext mitunter nötig, denn in Georgien könne man als Autor*in auch mal Probleme mit der Meinungsfreiheit bzw. Korruption bekommen. Die online-offline-Differenz tritt während des Festivals auch durchaus performativ zu Tage: Während Tako Poladashvili scheinbar ununterbrochen über den Facebook-Newsfeed weiß, was in ihrer Community gerade passiert, erzählt Lorena Simmel, dass sie gar kein Facebook habe.

Very Georgian: Skepsis gegenüber staatlicher Involvierung

Eine bunte offline-Szene für literaturinteressierte wie -schaffende Menschen, in der man sich nachts wie tags herumtreibt, ist ein sehr deutsches Phänomen – das wird spätestens während des Workshops klar.  Im georgischen Kontext würde eine derartige Szene auch gar nicht funktionieren. Die Georgier*innen erklären, dass man aus zweierlei Gründen eine große Abneigung gegen eine staatliche Förderung habe: Zum einen hat die lange Zeit der sowjetischen Führung eine große Skepsis produziert, denn jahrzehntelang bedeutete eine staatliche Förderung der Kunst und Kultur zwangsläufig auch deren inhaltliche Steuerung und Manipulation; zum anderen hat das Land noch einige große Probleme, weshalb der gesellschaftliche Diskurs vorgibt, dass Staatsgelder viel dringender ins Gesundheitswesen und Bildung anstatt in Kunst und Kultur investiert werden müssen. Es kommen also viele verschiedene individuelle, kulturpolitische und gesellschaftliche Aspekte zusammen, die statt einer freien, geförderten offline-Szene, wie im Falle Berlins, eine gut vernetzte und vielfältige online-Szene der Literatur entstehen ließen.

Tbilisi: Heart of art

Weitreichende Kanäle haben die jungen georgischen Autor*innen aber auch über Facebook hinaus: Zura Abashidze ist hauptberuflich Drehbuchautor einer Literatursendung für Kinder und junge Leute, Nika (Nikolos) Lashxia arbeitet für eine künstlerische Radiosendung, gibt eine Literaturzeitschrift mit heraus und organisiert zusammen mit Giorgi Shonia das Literaturfestival F5, das Literatur und Kultur aus dem Sammelbecken der Hauptstadt hinaus in die weniger urbane Region trägt. Der Ansatz dieses Festivals spricht einen weiteren Unterschied deutscher und georgischer Literaturszenen an: In Georgien versammeln sich Kreative und Künstler*innen, Aktivist*innen und viele Junge Menschen ausschließlich in der Hauptstadt Tbilisi, die auch die einzige georgische Stadt mit einem Nachtleben sei. Da die Stadt mit etwas über eine Millionen Einwohner*innen dennoch vergleichsweise klein ist, kennen sich die Leute aus Literatur, Kultur und Kunst untereinander gut. Gleichzeitig führe dies Hot-Spot-Entstehung dazu, dass Menschen außerhalb der Hauptstadt praktischen keinen Zugang zur Kultur haben – ein Umstand, dem erwähnte Festival etwas entgegensetzen will.

Fazit

Der zweiteilige Workshop „Doing LIterature“ im Rahmen des Berlinisi-Festivals verdeutlichte viele Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Auf deutscher Seite schien das eigene System zunächst schnell als ein großes Privileg sichtbar zu werden. Von Privilegien zu sprechen ist äußerst wichtig, denn es bedeutet gesellschaftliche Machtstrukturen zu erkennen; doch mitunter wird damit ein Machtgefälle auch gerade erst produziert: Es setzt fest, wer sich in einer besseren und wer in einer schlechteren Situation befindet. Die jungen Georgier*innen haben im Laufe der beiden Workshoptage jedoch sehr deutlich artikuliert, dass die freie Szene Berlins und die deutsche Politik der Kulturförderung nicht als ultimatives role model gelten könne. Die literarischen Szenen und Arbeitsbedingungen sind entsprechend der nationalen Kontexte sehr verschieden organisiert, aber beide gleichermaßen spannend, vielfältig und lebendig.

 

von Angie Martiens