Paula Fürstenberg: „Es ist schockierend, wie wenig man über Georgien weiß.“

Um den interkulturellen Austausch zu fördern, Georgien kennenzulernen und geeignete Nachwuchsautorinnen und -autoren für das Berlinisi-Festival zu finden, waren Paula Fürstenberg, David Wagner und Hendrik Jackson mit den georgischen Autor*innen Eka Kevanishvili, Tamta Melashvili und Zviad Ratiani gemeinsam in der Hauptstadt unterwegs. Was sie dort erlebt haben und was sie sich von Berlinisi erhofft, erzählt Schriftstellerin Paula Fürstenberg („Familie der geflügelten Tiger“) im Interview.

Paula, ihr wart im April eine Woche in Tbilisi. Was genau habt ihr vor Ort gemacht?

Die Reise nach Tbilisi war eine fünftägige Autorenkonferenz. Wir haben an drei Nachmittagen in Tandems aus je einem georgischen und einem deutschen Schriftsteller beziehungsweise Schriftstellerin die Stadt erkundet und währenddessen über das Schreiben gesprochen und über Krisen, persönliche, private und literarische, außerdem über die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der jeweiligen Literaturbetriebe.

Danach haben wir zwei Tage lang aus diesen Gesprächen und unseren Beobachtungen das Festival konzipiert, zumindest als Gerüst. Dabei sind Ideen wie die Carte Blanche entstanden – schließlich sind die teilnehmenden Autorinnen und Autoren keine Kinder mehr, die man an die Hand nehmen muss. Sie haben eigene Konzepte und Ideen und dem wollten wir einen Raum geben, wie an diesem Carte-Blanche-Abend, der frei gestaltet werden konnte.

Wie war dein Eindruck von der Stadt und den Leuten?

Ich interessiere mich nicht besonders für Städte, spreche nicht wie andere stundenlang über ihre Architekturen oder dergleichen. Mich interessieren mehr die Menschen, ihre Persönlichkeiten und Beziehungen zueinander. Eine Stadt stellt für mich vor allem den Raum, in dem sie agieren. Dennoch kann ich sagen, dass Tbilisi wirklich sehr schön ist, die Stadt hat einerseits einen ruinösen Charme und andererseits Las-Vegas-Ecken voller Casinos, und die Infrastruktur ist eine andere als hier, es fährt dort beispielsweise niemand Fahrrad.

Ich hatte in dieser Woche nur Kontakt zu Menschen aus dem Literaturbetrieb, wie zu den Berlinisi-Nachwuchsautoren, von denen wir drei schon dort kennengelernt haben. Mich hat beeindruckt, dass sie alle nicht nur drei Sprachen, sondern auch drei Alphabete beherrschen: das georgische, das lateinische und das kyrillische. Der Sonntag stand uns dann zur freien Verfügung, ich habe ihn im Zoo verbracht.

Im Zoo?

Ich habe ein Faible für Zoos. Der in Tbilisi hat eine so interessante wie tragische Geschichte: Vor drei Jahren sind bei einer Überschwemmung 20 Menschen und Hunderte von Tieren gestorben; andere konnten ausbrechen. Eine Woche lang sind damals Wildtiere durch die Stadt getigert.

Anhand welcher Kriterien habt ihr die acht georgischen Autorinnen und Autoren ausgewählt, die nach Berlin eingeladen wurden?

Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir spannende neue literarische Stimmen einladen wollen, die noch nicht wahnsinnig etabliert sind, aber bereits erste Schritte gemacht haben. Welche das sein sollen, hat das georgische Vorbereitungsteam entschieden.

Und die hiesigen?

Erstes Kriterium war natürlich, dass wir uns für die Texte begeistern können. Wir hatten zudem Diversitätskriterien; es sollte etwa zu gleichen Teilen Prosa und Lyrik vertreten und eine Genderparität gewährleistet sein. Außerdem sollten die Autorinnen und Autoren in Berlin leben. Jeder von uns kennt die hiesige Literaturszene gut und hat sechs, sieben Namen in die Runde geworfen. Dann sind wir Georgisch essen gegangen und haben die Vorschläge diskutiert.

Welche langfristigen Impulse erhoffst du dir durch das Berlinisi-Festival?

Ich persönlich habe stark gemerkt, wie sehr mein Literaturverständnis vom deutschsprachigen Literaturbetrieb geprägt ist. Es war wohltuend, mit ganz anderen Parametern konfrontiert zu sein. Man lernt durch diesen Abgleich auch viel über sich selbst. Ich bin von der westlichen medialen Landschaft geprägt, nicht nur eurozentrisch, sondern germanozentrisch, wenn man so will. Die Georgier kennen deutsche Städte, Flüsse, Politiker; jeder kann aus dem Stegreif zehn deutsche Autoren nennen. Es ist schockierend, wie wenig man selbst über Georgien weiß, während dort die deutsche Kultur und Geschichte einigermaßen bekannt sind. Wir sind sehr in unserem eigenen Saft sozialisiert.

Und was sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Festivals im Bestfall mitnehmen?

Insgesamt habe ich das Gefühl, alle hatten eine gute Zeit. Am meisten gefreut hat mich die Carte Blanche, der Abend, der frei gestaltet, aber innerhalb von zwei Tagen konzipiert werden musste. Die Zusammenarbeit hat über jede Sprachgrenze hinweg funktioniert, es wurde gemeinsam Literatur produziert auch ohne zu verstehen, was der andere sagt, das ist wirklich sehr schön. Ich hoffe, dass Berlinisi für die Arbeiten der Teilnehmerinnen und Teilnehmer wichtige Impulse gesetzt hat, wie auch ich diese mitnehme, und dass sie dadurch auch mal andere Bücher in die Hand nehmen als die, die eh auf dem eigenen Nachttisch landen.

Du lieferst mir das Stichwort: Welche georgischen Bücher kannst du empfehlen?

Auf jeden Fall das Buch von Tamta! „Abzählen“ ist 2012 im Unionsverlag erschienen und wirklich toll. Auch Zuras Kurzgeschichte, die im E-Book zum Festival zu finden ist und zu einem ganzen Band gehört, der im Oktober auf Deutsch erscheint, hat mir sehr gefallen. Ich finde es schön, Texte der Kolleginnen und Kollegen zu lesen, mit denen man Zeit verbracht hat.

Die Fragen stellte Isabella Caldart.
Foto: Mirko Lux